Besondere Wahrnehmungsfähigkeit der Hände

Während der Jahre in denen Frank Lowen behandelte und unterrichtete wurde ihm klar, dass die Wahrnehmungsfähigkeit seiner Hände und die Art und Weise, wie er sie einsetzte und mit ihnen arbeitete neue Möglichkeiten in der therapeutischen Behandlung eröffneten. Am deutlichsten wurde dies bei den neuen Techniken, die er selbst entwickelt hatte. Anfänglich erstaunt darüber, dass seine Kursteilnehmer nicht zu ähnlichen Ergebnissen kamen wie er selbst, begann Lowen genauer zu analysieren was das Besondere im Gebrauch seiner Hände ausmachte. Und tatsächlich erhöhten sich die Effektivität ihrer Arbeit und die Kompetenz seiner Studenten deutlich, nachdem die Ergebnisse dieser Beobachtungen in die Ausbildung übernommen wurden.

In der Arbeit mit empfindsamen Geweben konnte Lowen immer dann den präzisesten Kontakt herstellen und ein optimales Ergebnis erzielen, wenn er das entsprechende Gewebe visualisierte, wodurch er seine Aufmerksamkeit tief in diese Struktur brachte, mit seiner Hand mit dem Gewebe in Kontakt kam, dieses mit einer gewissen Spannung seiner Hand „in seine Hand hinein brachte“ , so dass das Gewebe quasi magnetisch angezogen wurde. Dieser Vorgang, den Lowen „engagen“ nennt hat zum Vorteil, dass auf die entsprechenden Strukturen kein Druck ausgeübt wird. Dadurch wird das Gewebe nicht beeinträchtigt und die körpereigenen Vorgänge können ungehindert wahrgenommen werden. Außerdem zeigte sich, dass sich durch diese Herangehensweise die körpereigenen Prozesse verstärkten.

Engagen

Das Visualisieren dieser Strukturen ist mit entscheidend für diese Arbeit, und ein guter Grund dafür, immer wieder darauf hinzuweisen, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der menschlichen Anatomie ein Muss für alle Kursteilnehmer ist, wenn sie ernsthaft mit BMT arbeiten wollen.

Bei der Vorbereitung eines Seminars, bei dem Studenten lernen sollten, das Potential ihrer Hände zu entdecken und differenziert mit ihnen zu fühlen, machte Lowen eine weitere interessante Entdeckung: bestimmte Handareale scheinen bevorzugt mit bestimmten Geweben und Systemen zu korrelieren und zwar sowohl in Bezug auf ihre Wahrnehmungsfähigkeit als auch hinsichtlich ihrer Behandlungsmöglichkeiten. Außerdem erkannte er, daß es mit gewissen Handbereichen leichter möglich war, Körperbewegungen unterschiedlicher Ebenen wahrzunehmen. Dieses umfassende Konzept wird, neben anderem, in „Manual Perception I + II“ gelehrt. Therapeuten eröffnet sich damit nicht nur die Möglichkeit, klare Aussagen über das zu behandelnde Gewebe zu treffen, um auf dieser Grundlage den Einfluß anderer Systeme oder Strukturen abzuklären, sondern auch unmittelbar Behandlungsansätze zu entwickeln und anzuwenden. Ähnlich dem Reflexzonenschema für die Füße gibt es in diesem Kontext eine Übersichtskarte mit Zuordnungen für die Hände. Wenn nun ein Therapeut mit seiner Hand auf die beschriebene Weise „engaged“, läßt sich auf der Handinnenfläche ein Spannungsmuster wahrnehmen. Diese ‚Schemakarte‘ zeigt an, in welchem Körpersystem oder -gewebe eine Funktionsstörung vorliegt und sie vermittelt genaue Informationen über das betroffene System. Mit dem gleichzeitigen engagen der Hände auf dem gestörten Gewebe und auf dem mitbetroffenen Gewebe kann die Behandlung eingeleitet werden.

Tafel 1

Beispiel: Um wahrzunehmen, wie überaus sensibel manche Areale der Hand auf bestimmte Gewebe reagieren, sollten Sie das Übersichtsschema der Organe vor Augen haben, das in Verbindung mit der Hormontafel verwendet wird (Tafel 1). Nehmen Sie den Teil der Hand wahr, der der Leber entspricht (Tafel 2) und legen Sie die Hand zuerst auf die Leber und dann auf ein anderes Organ. Versuchen Sie das Gleiche mit dem Magen und mit weiteren Organen. Auch ohne vorheriges Handtraining werden Sie feststellen, dass Spannung und Bewusstheit der Handbereiche, die mit der Leber korrespondieren, zunehmen, wenn sich die Hand direkt über diesem Gewebe befindet.

Tafel 2